Der volle Name und die Worte “Neun Millimeter” wurden in der Nacht zum Montag an die Haustür eines jungen Gewerkschafters gemalt, der sich seit Jahren im Bezirk gegen Rechtsextremismus engagiert. Gemeint ist eine Patrone für Handfeuerwaffen. Daneben das als Nazisymbol verbotene Keltenkreuz. Der Student war nicht der einzige, der im Kiez heimgesucht wurde. In der gleichen Nacht haben die Rechtsextremen an mehreren Orten in der Gegend zugeschlagen. Bei der alternativen Kneipe “Tristeza” in der Pannierstraße und einigen Wohnhäusern wurden die Fassaden mit Nazi-Parolen besprüht, bei einem Projektraum in der nahe gelegenen Friedelstraße die Scheiben eingeworfen. Bis nach Kreuzberg führt die Spur der Täter. Dort wurde ein Ladengeschäft in der Waldemarstraße, das T-Shirts gegen Nazis vertreibt, besprüht. “C4 for Reds” (in etwa: Plastiksprengstoff gegen Zecken) stand an den Rollläden. Das Motto der neonazistischen Terrorgruppe “Combat 18″ aus Großbritannien.
Anschläge dieser Art gab es in den letzten Wochen in Nord-Neukölln mehrfach. Bei der Galerie Olga Benario, in der noch bis Januar eine Ausstellung über die Zeit des Nationalsozialismus gezeigt wird, wurden am 6. Dezember die Scheiben eingeworfen. Wenige Wochen zuvor traf es die Fenster des multikulturellen Kulturzentrums der Freundschaftsgesellschaft Chile. In einigen Fällen hinterließen die Täter NPD-Flugblätter am Tatort. Parallel tauchten immer häufiger NPD-Plakate und volksverhetzende Aufkleber in der Gegend auf. Seit 2006 sitzen zwei Mitglieder der rechtsextremen Partei in der Bezirksverordnetenversammlung von Neukölln.
“Die Qualität dieser Anschläge setzt auf die Bedrohung aller vermeintlichen politischen Gegner”, sagt Bianca Klose vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (MBR). Derartige Angriffe und Morddrohungen habe es in Neukölln bisher noch nicht gegeben. “Die zahlreichen Bündnisse in den Bezirken sind jetzt gefragt die betroffenen Einrichtungen zu unterstützen.” Woher die Naziszene die Informationen über ihre Angriffsziele habe, sei kein Geheimnis, sagt Klose. Erst vor kurzem wurden fast alle davon auf einer einschlägigen rechtsextremen Internetseite mit Adressen und genauen Beschreibungen veröffentlicht. “Wir wünschen Euch mit diesen Informationen viel Erfolg”, so die Aufforderung des “Nationalen Widerstands Berlin”. Man hoffe auf “besonders kreative Nachbarschaftsgeschenke” für die aufgezählten Gebäude.
Auch wenn sich die betroffenen Projekte nicht einschüchtern lassen wollen, nehmen sie die Drohungen ernst. In den nächsten Tagen soll es ein gemeinsames Treffen geben. Dass die Neonazis auch vor Brandanschlägen nicht zurückschrecken, zeigt die Entwicklung der Szene im Süd-Neuköllner Stadtteil Rudow. Ein 16- und 19-jähriger Rechtsextremist hatten dort im März und April 2008 Molotowcocktails auf zwei von Migranten bewohnte Häuser geworfen.
(_Johannes Radke_)