WELT ONLINE: In Berlin-Mitte laufen Anwohner gegen ein Geschäft namens Tønsberg Sturm, das ausschließlich die bei rechtsextremen beliebte Marke Thor Steinar vertreibt. Was genau wird dort eigentlich verkauft?
Eckel: Keinesfalls Springerstiefel und Bomberjacken, wie man sie vielleicht noch im Kopf hat, sondern qualitativ hochwertige Streetwear. In den letzten Jahren hat sich das Outfit in der rechtsextremen Szene stark verändert, gerade in Berlin. Auf eine eindeutige stilistische Abgrenzung wird verzichtet, es geht jetzt darum, dezentere rechtsextreme Codes zu nutzen. Also Symbole, die nicht mehr so eindeutig sind, aber trotzdem von anderen Rechtsextremen erkannt werden. Und die trotzdem die politischen Gegner provozieren.
WELT ONLINE: Und wie sieht das in der Praxis aus?
Eckel: Auf Pullis sind etwa Runen oder Wikingerschiffe abgebildet. Die Marke spielt aber auch direkt auf nationalsozialistische Symbolwelten an. Es wird etwa eine Kollektion namens Nordmark verkauft. Das war der Name eines SS-Arbeitserziehungslagers in der Nähe von Kiel. Es gibt T-Shirts mit dem Aufdruck “Heia Safari”, dem Marschlied des deutschen Afrikacorps während des Zweiten Weltkriegs. Thor Steinar produziert auch Mützen und T-Shirts, auf denen “Ultima Thule” steht. Das ist der Name einer rechtsextremen Band, spielt aber auch auf den Untergang eines nordischen Reiches an. Dem Mythos zufolge sind die Überlebenden die Gründer der germanischen Rasse.
WELT ONLINE: Auch die norwegische Flagge gehört – obwohl der norwegische Staat klagte – zum Symbolrepertoire der deutschen Marke Thor Steinar. Der Berliner Laden ist gar nach der norwegischen Stadt Tønsberg benannt. Warum eigentlich?
Eckel: Ich würde vermuten, dass es sich auch hier um einen Bezug zu den Wikingern handelt. Bei dem Wikingerkult geht es um die Geschichte eines starken, germanischen Volkes. Thor wurde während der Wikingerzeit in Norwegen als wichtigster Gott verehrt. Er ist neben Odin der höchste in der Rangordnung der germanischen Götter, und als Herrscher über Blitz und Donner werden mit ihm Eigenschaften wir Stärke und Tatkraft verbunden. Außerdem gilt er als Beschützer der Götter und der Menschen vor den Riesen. Stärke, Tatkraft und die Rolle als Beschützer sind innerhalb des rechtsextremen Selbstverständnisses wichtige Aspekte, vor allem für das Männlichkeitsbild.
WELT ONLINE: Trägt der Nazi dann eigentlich doch heimlich Kleidung mit verbotenen Symbolen wie der Reichskriegsflagge?
Eckel: Das ist natürlich möglich. Die meisten Kleidungsmarken spielen damit nicht. Die Palette der Marken und Kleidungsstile ist inzwischen so breit, dass man sich als Rechtsextremer in jeder Sub- oder Jugendkultur bedienen kann. Die Marke rizist hat etwa einen ganz klaren Hiphop-Skater-Style. Das Label H8wear (Hatewear)wiederum richtet sich eher an die Hardcore-Musikecke. Wir nennen es die Pluralisierung rechtsextremer Jugendkultur. Es gibt ein sehr breites Angebot an Stilen, um einem rechtsextremen Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen.
WELT ONLINE: Und wie kann man als Laie Nazis dann noch erkennen?
Eckel: Die Vielfalt von Codes macht das schwierig. Es ist Teil unserer Aufgabe, ein gewisses Grundwissen über rechtsextreme Symbolwelten zu vermitteln. Im Internet gibt es unter www.dasversteckspiel.de eine Art Nachschlagewerk zum Thema, das hilft auf den neusten Stand zu kommen.
WELT ONLINE: Kann man schätzen, wie viele dieser Label es gibt?
Eckel: Leider nein, viele verschwinden ganz schnell wieder, manche Label wiederum kommen beispielsweise aus der Hooliganszene und bedienen eher nebenbei die Rechtsextremen.
WELT ONLINE: Wie ist es denn mit der bei Neonazis einst so beliebten Marken wie Lonsdale. Darf man die anziehen?
Eckel: Man muss unbedingt zwischen den Marken unterscheiden: Da sind jene, die von der rechtsextremen Szene genutzt werden, aber gar keine Bezüge dazu haben. Und dann gibt es Marken, die in Internetforen als “von der Bewegung für die Bewegung” klassifiziert werden. Lonsdale zum Beispiel hat sich ganz explizit von der rechtsextremen Klientel distanziert und unter dem Motto “Lonsdale loves all colours” antirassistische Konzertreihen unterstützt.
WELT ONLINE: Und jetzt tragen Nazis kein Lonsdale mehr?
Eckel: Die Kleider sind nicht mehr so beliebt. Es gab aber auch sofort eine Reaktion der Rechtsextremen in Form einer eigenen Marke, die im Schriftzug sehr ähnlich ist und die Consdaple heißt. Bei Lonsdale sah man ja nur NSDA auf der Brust, bei Consdaple hat man sogar NSDAP.
WELT ONLINE: Darf ich auch Fred-Perry-Kleider guten Gewissens wieder tragen?
Eckel: Aber ja, das war doch ein jüdischer Tennisspieler aus der englischen Arbeiterklasse. Die T-Shirts waren damals unter anderem deshalb in der rechten Szene sehr beliebt, weil ein schwarzes Shirt rote und weiße Streifen am Kragen hatte – also die Farben der Reichskriegsflagge. Es kommt halt immer wieder vor, dass die Rechten sich so etwas aneignen.
WELT ONLINE: Wie etwa Palästinensertücher und Che-Guevera-Shirts, die man bei rechten Aufmärschen sieht. Will man so die Linken ärgern?
Eckel: Sicher. Aber Che Guevara wird tatsächlich als Kämpfer für sein Volk verehrt und so sehen die Rechtsextremen sich ja auch. Es gibt den Ausspruch: “Patria o muerte” – “Vaterland oder Tod”, das greifen sie natürlich gerne auf.
WELT ONLINE: Auf einer Protestversammlung gegen den Thor-Steinar-Laden in Mitte kam der Vorschlag auf, es den Rechten nachzumachen. Normale Leute sollten einfach Nazi-Kleider kaufen, dann machten die Symbole keinen Sinn mehr. Was halten Sie davon?
Eckel: Das hilft leider nicht. Man muss unbedingt verhindern, dass so ein Laden wie Tønsberg Teil des Mainstreams wird. Also die Anwohner haben Recht mit ihrem Aufruf: “Keine Geschäfte mit Nazis”.
Annika Eckel arbeitet bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) in Berlin. Sie berät Menschen, die sich in Berlin gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren. Die MBR wird vom Land Berlin und dem Bund finanziert.
(Das Interview führte Brenda Strohmaier)