Die Anzahl der Übergriffe von Neonazis hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Die Opferberatungsstelle Reach Out zählte 2005 insgesamt 103 rechte Angriffe auf Personen in Berlin. Das sind 40 Vorfälle mehr als 2004. Die meisten Übergriffe gab es im Bezirk Friedrichshain (23), gefolgt von Lichtenberg (18). Der Polizei liegen bisher noch keine Zahlen über rechte Gewalttaten vor.
“Es gibt anscheinend rechte Gruppen, die am Wochenende losgehen und gezielt Menschen überfallen”, erzählt Helga Seyb von Reach Out. Neben einer deutlichen Steigerung der Brutalität sei vor allem auffällig, dass es sich immer öfter um verabredete und geplante Aktionen der Rechten handele. “Da kommt eine Gruppe schwarz Vermummter, mit Schlagstöcken bewaffnet, schlägt zu und ist sofort wieder weg”, so Seyb weiter. Opfer der Überfälle seien zumeist Menschen, die nach ihrem Äußerem der alternativen Szene zugerechnet werden könnten.
Die Antifa Friedrichshain (AFH) bestätigt diese Tendenz und spricht von einer ganzen “Welle von Angriffen”. Allein seit Anfang Januar habe es in Friedrichshain acht Fälle rechter Gewalt gegeben. Erst am vergangenen Wochenende seien sechs Jugendliche am U-Bahnhof Frankfurter Allee von einer Gruppe rechter Hooligans mit den Worten “Zecken, wir kriegen euch!” attackiert worden. Dabei habe es vier Schwerverletzte gegeben. Ein Opfer sei zudem auf die Bahngleise geschubst und im Gleisbett liegend von fünf Angreifern weiter getreten und geschlagen worden.
Auf Anfrage der taz bestätigte Polizeisprecher Bernhard Schodrowski, dass es in der betreffenden Nacht einen Einsatz am U-Bahnhof Frankfurter Allee wegen einer Schlägerei gegeben habe. “Der Staatsschutz prüft derzeit, ob es einen rechten Tathintergrund gibt”, sagt Schodrowski.
Das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) ist von den neuen Zahlen nicht überrascht. “Die Neonazis suchen in letzter Zeit verstärkt die Auseinandersetzung”, sagt ein Mitarbeiter. “Dabei spielt die Fixierung auf vermeintliche Linke als Gegner eine wichtige Rolle für die eigene politische Identifikation.” Darüber hinaus sei die Hemmschwelle, sich im als alternativ geltenden Stadtteil Friedrichshain zu bewegen, in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken. Nicht zuletzt dadurch, dass die Rechten sich mittlerweile durch ihr Äußeres kaum noch zu erkennen gäben.
“Die Verbote der Kameradschaft Tor und anderer Gruppen haben mit Sicherheit auch zur Radikalisierung der rechten Szene beigetragen”, sagt Catharina Schmalstieg von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. “Nach den massiven Übergriffen ist es Zeit, dass endlich etwas passiert”, findet sie. “Unser Ziel ist es, in erster Linie ein öffentliches Bewusstsein dafür herzustellen, dass solche Übergriffe in Friedrichshain passieren”, so Schmalstieg weiter. Es werde jetzt über die Gründung eines Bürgerbündnisses gegen rechts nachgedacht.
(Johannes Radke)